Europa: Inklusion mit Hilfe von Hilfsmitteln

Die Versorgung mit Hilfsmitteln ist von Land zu Land unterschiedlich – und variiert innerhalb Europas und weltweit. Dies kann zu Problemen für Menschen führen, die mit einer Behinderung leben und auf ihre Hilfsmittel angewiesen sind, um mobil zu sein und ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben zu gewährleisten. Aber wie sieht die Situation konkret aus und was muss noch verbessert werden? REHACARE.de hat nachgeforscht.

Rollstühle, Braille-Zeilen oder Kommunikationshilfen – das Angebot an Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderung ist so vielfältig wie ihre individuellen Bedürfnisse. Daher ist es besonders wichtig, eine gute Auswahl an Hilfsmitteln bereitzustellen, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Aber nicht alle Arten von Behinderungen werden auf dem Hilfsmittelmarkt gut abgedeckt. Beispielsweise, wenn es um Menschen mit Lernschwierigkeiten (sogenannte "geistige Behinderungen") geht. "Die Branche hat ihnen bisher kaum Beachtung geschenkt", sagt Maureen Piggot, Vorstandsmitglied der Organisation Inclusion Europe. "Hilfsmittel spielen bisher noch keine große Rolle im Leben der meisten Menschen mit geistiger Behinderung – mit Ausnahme derer, die wie andere Menschen mit Bewegungseinschränkungen oder sensorischen Behinderungen Rollstühle, Hörhilfen oder Unterstützte Kommunikation verwenden." Dennoch sieht sie aber auch Potenzial für die Entwicklung von Anwendungen und Geräten für die Kommunikationsunterstützung, Smart-Home-Technologie, Navigation, personalisiertes Lernen, Entscheidungshilfen und persönliche Assistenz.

"Computertechnologie könnte für Menschen mit geistiger Behinderung das sein, was der Rollstuhl für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist", erklärt Piggot. Computer in all ihren Formen berechnen, verwalten und liefern Informationen, verfolgen die Zeit, vereinfachen Abläufe, organisieren uns und unser Leben, kommunizieren, bilden und unterhalten – "alles nützliche Funktionen, wenn die Barriere zum Erfolg bei täglichen Aufgaben darin besteht, Komplexität und abstrakte Sachverhalte zu bewältigen". Piggot ist jedoch besorgt über die Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit von Endgeräten wie Smartphones und Tablets sowie Mikrowellen, Heizungssteuerungen und anderen gängigen Geräten. Alle diese wurden meist nicht unter Einbeziehung der Bedürfnisse von Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt.

Trotzdem ist Piggot fest davon überzeugt, dass Fortschritte in der Technologie, insbesondere in der Spracherkennung, der künstlichen Intelligenz, dem maschinellen Lernen und der natürlichen Gestenschnittstellen, vielversprechend aussehen. "Die Herausforderung besteht darin, die Komplexität so im Gerät zu integrieren, dass es auf den Benutzer zugeschnitten ist, damit der es dann problemlos bedienen und die vorliegende Aufgabe erfolgreich erledigen kann", erklärt sie. Allerdings warnt sie auch davor, vorsichtig mit dieser Begeisterung für Technologien umzugehen: Denn Fernüberwachung und Smart-House-Technologien können auch zu neuen Formen der institutionellen Kontrolle oder sogar fehlendem persönlichen Kontakt führen und damit die soziale Isolation und Einsamkeit erhöhen. Dennoch kann die Technologie Menschen mit Behinderung viele Chancen bieten.

Dem stimmt auch Alejandro Moledo zu. Er ist Policy Coordinator beim European Disability Forum (EDF) und selbst sehbehindert. Früher benötigte er eine spezielle Software, um den Bildschirm an seinem Computer zu vergrößern. Diese Lupen-Option ist mittlerweile standardmäßig im Betriebssystem jedes handelsüblichen Computers enthalten. Und anstatt, ein Fernglas in der Tasche zu haben, kann er jetzt seine Smartphone-Kamera benutzen, wenn er etwas sehen möchte, das weit entfernt ist. "Wir sehen diesen Trend in der Mainstream-Technologie, die nun barrierefreier geworden ist und damit ein entsprechendes technisches Hilfsmittel ersetzen kann", sagt Moledo. „Dennoch werden bestimmte Hilfsmittel weiterhin eine entscheidende Rolle für das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderung spielen."

Für die Teilhabe an verschiedenen Aspekten der sozialen Gemeinschaft ist es wichtig, Barrierefreiheit zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung Zugang zu der für sie am besten geeigneten unterstützenden (assistiven) Technologie haben. Aber genau in diesem Punkt sieht Moledo ein Problem in Europa, da es unterschiedliche Versorgungssysteme für (technische) Hilfsmittel gibt: "Wir haben keinen echten Markt für assistive Technologien in Europa, denn das Versorgungssystem teilt Ihnen möglicherweise mit: 'Ok, wir können Ihnen nur den Kauf von Hilfsmitteln auf dieser speziellen Liste finanzieren beziehungsweise unterstützen, und keine anderen.' Sie können also nicht sagen, dass Sie beispielsweise einen Rollstuhl von einem schwedischen Anbieter gesehen haben, und dass dieser genau Ihre Bedürfnisse erfüllt, weil das nationale Versorgungssystem für Hilfsmittel es ihnen nicht erlaubt, diesen Rollstuhl zu kaufen. Es fehlt also an Auswahlmöglichkeiten. Und das widerspricht damit der eigentlichen Mission der EU, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu haben." Moledo und die anderen Mitglieder des EDF sind der Ansicht, dass sich die EU damit in Zukunft beschäftigen könnte und sollte.

Da (technische) Hilfsmittel eine entscheidende Rolle spielen, müssen sie auch von hoher Qualität und für die Benutzer*innen bezahlbar sein. Daher müssen diese auf eine personenzentrierte Unterstützung zählen können. Moledo möchte, dass die Verantwortlichen den Kontext verstehen, in dem die jeweilige Person lebt, die Erwartungen dieser berücksichtigen und verstehen, was sie erreichen will.

"Die Branche muss sich weiterentwickeln. Ich weiß, dass der europäische Markt für assistive Technologien stark von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert wird. Wenn es allerdings um Hörgeräte oder Cochlea-Implantate geht, gibt es im Prinzip nur drei oder vier Unternehmen auf dem Markt", sagt Modelo. "Und offensichtlich treibt die mangelnde Auswahl an Anbietern die Preise für die Verbraucher*innen in die Höhe. Das wäre also ein Aspekt, den sich die Branche einmal anschauen sollte. Aber ich denke auch, dass davon Einiges aus dem öffentlichen Bereich kommt. Deswegen sollten die politischen Entscheidungsträger auch diesen Markt im Auge haben und versuchen, ihn zu verbessern."

Auch Maureen Piggot ist der Ansicht, dass eine Reihe von Dingen geschehen muss, um den Zugang zu Hilfsmitteln zu ermöglichen: "Familien und Menschen mit geistiger Behinderung sollten mehr Zugang zu Informationen und Beispielen haben, was verfügbar ist und wie die Hilfmittel erhältlich sind. Auch Fachleute und Experten, die im Versorgungsprozess beteiligt sind, sollten dazu ermutigt werden, zu überlegen, wie eine größere Auswahl verfügbarer Geräte von Menschen mit geistiger Behinderung verwendet werden könnte. Sprechende Uhren oder Waagen, wie sie Menschen mit Sehbehinderung verwenden, funktionieren auch bei einigen Menschen, die aus irgendwelchen anderen Gründen nicht lesen können. Es ist auch besonders wichtig, dass sie den Herstellern Rückmeldungen über die fehlende Barrierefreiheit potenziell nützlicher Geräte und Anwendungen geben."

Forschungs- und Entwicklungsgelder sollten mehr Arbeiten im Bereich der Unterstützung kognitiver und intellektueller Fähigkeiten anregen. Nationale und internationale Konferenzen, Ausstellungen und Fachzeitschriften sollten sich außerdem explizit mit diesen Themen befassen. Eine erleichterte Gesetzgebung spiele ebenfalls eine wichtige Rolle. "Der Tech Act und der Rehab Act in den USA sind gute Beispiele dafür, wie Infrastrukturen geschaffen werden können, um die richtigen Geräte zu den Menschen und Orten zu bringen, wo sie benötigt werden", meint Piggot. "Wie in anderen Bereichen, die Verbesserungen erfordern, sollten Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Angehörigen befähigt werden, an dem Diskurs teilzunehmen. Die Self Advocacy (Selbstvertretungs)-Bewegung hat bereits gezeigt, welchen Unterschied es macht, wenn Menschen für sich selbst sprechen."